Zur Installation mit den Papierarbeiten "Roten Wand"~"Chì Bì"
von Joachim Hirling

 
   
   
     

Grundlage dieser Arbeit sind zwei Gedichte von dem chinesischen Dichter, Maler, Kalligraphen, Philosophen und Staatsmann Su Dung-po, häufig auch Su Shi genannt
(*1036 -†1101). Er ist einer der großen Künstler der Nord-Sung-Dynastie (960-1126).

Er schrieb diese zwei Gedichte in der Form des "Fu" 1082. Dies ist eine spezielle und komplexe chinesische Gedichtform, sie variiert im freiem Versrhythmus und besteht aus Prosa und Reimversen.

Die Übersetzung des 1. Fu ins Deutsche ist von Dr. Ursula Toyka-Fuong, die des 2. Fu von Eric Lin Qi-wei und Joachim Hirling.

Anlaß für Su Shi die zwei Gedichte zu schreiben, waren Ausflüge mit Freunden zur sogenannten "Roten Wand / Chi Bi", einer Stelle am Mittellauf des Jiangzi-Fluß in der Provinz Hubei / China. Dies war unweit seines damaligen Wohnorts, während einer seiner Verbannungszeiten von Staatsdiensten aufgrund unterschiedlicher Haltungen zu anstehenden Reformvorhaben.

Bei der "Roten Wand / Chi Bi" handelt sich um einen
von mehreren gleichnamigen Orten am Jiangzi-Fluß, an dem 208 n.Chr. die zahlenmäßige weit überlegene Armee des tyrannischen Generals und Dichters Cao Cao (im 1. Gedicht Ts'ao Meng-te / Meng-te genannt) von dem jungen General Chou Yü (im 1. Gedicht Jung Chou genannt) überraschend geschlagen wurde. Dieser Sieg leitete das Ende der Han-Dynastie ein (206 v.Chr. - 220 n.Chr.) und in der Folge den Beginn einer Zeit von Bürgerkriegen.

Dieses Ereignis ist über die Jahrhunderte bis heute im chinesischen Bewußtsein erhalten geblieben und war immer wieder Auslöser für Auseinandersetzungen damit. In der Folge von Su Shi's Gedichten wurde es auch ein wiederkehrendes Thema der chinesischen Malerei.

Die Rahmenhandlung bildet jeweils eine romantisch anmutende nächtliche Bootsfahrt mit Freunden in einer Flußlandschaft zu einem als historisch angesehenen Ort. Erscheint dieses erzählerische Moment zusätzlich mit einem darüber fliegendem Kranich, ist das 2. Fu gemeint, ansonsten das 1. Fu.

Ein wesentliches Motiv im 1. Fu ist - über die Erinnerung zu jenem Ort an ein bedeutendes geschicht-liches Ereignis - ein grundsätzlicher philosophischer Dialog zur unterschiedlichen Wahrnehmung der begrenzten Existenz des Menschen und der unendlich erscheinenden Existenz der Natur.

In die Dichtung hinein gewoben sind auch Anspielungen auf sein eigenes Schicksal, sowie auf politische Zustände seiner Zeit. Aus den Einzelgeschehen erstellt er einen Gesamtzusammenhang und auch eine Brücke von der Vergangenheit in die Gegenwart zu sich und dem Leser, bzw. dem Betrachter. Er beschreitet damit einen abstrahierenden Weg von der unmittelbar erlebten Wirklichkeit zu einer transzendenten Weltsicht.

Das 2. Fu hingegen ist neben seinem direkt erzähltem Handlungsablauf vordergründig auch stärker geprägt von einem sich phantastisch gebärdendem, beängstigendem und sich rational entziehendem Naturerlebnis. Des weiteren schließt es mit einem mysteriösen Traum ab.

Wenn auch stärker verborgen, lassen sich in dem 2. Fu aber auch Bezüge, selbst zu dem historischen Ereignis, für welches die "Roten Wand / Chi Bi" als Chiffre steht, erstellen. Unreflektiert betrachtet, bleibt die Welt verwunderlich, bisweilen irrational und absurd.

Auf einer anderen Ebene stellt sich besonders mit dem Bild des Traumes auch die Frage, inwieweit das Wesen der Existenz und der Wirklichkeit überhaupt erfaßt werden kann. Was ist die Wirklichkeit? Im Daoismus geht eine der Aussagen dazu dahin, daß das was benannt, gezeigt werden kann, nicht das Eigentliche ist.

Das 1. Fu zeigt ein mehr sich rational erschließbarers Weltbild, mit stärker konfuzianischer Prägung, und das 2. Fu vermittelt ein sich mehr mystisch offenbarendes Weltbild, stärker taoistisch geprägt.

Somit umkreisen die einzelnen Blätter und ihr "Dazwischen" dieser Papierinstallation letztendlich auch nur mögliche Weltsichten - sind ein Versuch diese wiederzugeben, um eine Transformation zu unternehmen - um Inspiration vom Zusammenspiel aus Nichts und Etwas zu geben. Das Wesentliche bleibt nicht zeig- und fixierbar, unabhängig davon in welcher Weise es dar- oder nicht dargestellt wird. - Sie sind eingeladen sich hinein zu begeben.

 
       
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