Prof. Joachim Heusinger von Waldegg, Karlsruhe  
   
Zwischen Schrift und Bild  
   
Joachim Hirlings Malerei bewegt sich im Spannungsfeld von zwei Faktoren, die sich auf den ersten Blick gegenseitig auszuschliessen scheinen. Anzufuehren sind einmal optische Erlebnisse und damit einhergehende geistige Erfahrungen, die sich aus der Beobachtung von diffusen Naturerscheinungen, wie Regen-, Schnee- und Nebelschleier, aber auch Flimmerbilder aus dem Fernseh- und Videobereich herleiten: Farbreizwahrnehmung von Mustern und schemenhafte Anordnungen. Dabei vermischen sich, betont strukturbezogen, in der Vorstellung reale und abstrakte Bilder. Zum anderen laesst sich der Maler davon anregen zu beobachten, was geschieht, wenn sich Farbe, in lockerem Pinselzug zeilenfoermig aufgetragen, in fortlaufendem Prozess zu gleichfoermigen Strukturen ausbildet.  
       
    Spontane Reaktion und methodisches Vorgehen halten sich die Waage. Auf einfarbiger Grundschicht wird die Farbe fleckig oder troepfelnd in mehreren Lagen so aufgetragen, dass sie sich zu netzartiger, transparenter Struktur verbindet. Es entsteht ein fluktuierender Bildraum meditativer Auspraegung aus der Modulation verwandter und gebrochener Toene. Deren kontinuierliche Verwandlung bewirken Sehanreize, die von der punktuellen oder verwischenden Verteilung der Farbe ausgehen. Ueber die Flaeche in Zeilen und Kolonnen gestreut, wechselt ihre Wahrnehmung, je nach Abstand vor dem Bild. In Gang gebracht wird ein bewegliches Sehen zwischen Mikrostruktur und verschwimmender Fernansicht. So bedingen sich wechselseitig zwei unterschiedliche Formen der Wahrnehmung: lebendige Kleinstruktur und deren Aufloesung in die Totale. Zur Aufhebung der Spannungen im Zusammenschluß des Sehfeldes traegt die Wahl des Bildformates bei. Bevorzugt wird das Quadrat.  
       
    Ueber die Beschaeftigung mit Kalligraphie und ostasiatischer Philosophie fand der Maler Moeglichkeiten, strukturierte Planspiele durch die Synthese uebergreifender Bildmodelle zu vertiefen. Mehrere aengerfristige Studienaufenthalte in Taiwan, durch ein DAAD-Stipendium ermoeglicht, eroeffneten neue Erfahrungsbereiche zwischen Malerei und Lebensgefuehl. Nicht Ubernahme indes, sondern Annaeherung und Austausch werden gesucht. Es begegnen sich gegensaetzliche Strategien: Offnung der Bilder in einen immateriellen Raumgrund und Expansion ‚befreiter' Farbe westlicher Provenienz, ebenso wie sich das Manuelle um das spirituell Vorstellungsmaessige erweitert findet.  
       
    Beide Aspekte ist der Maler bestrebt, nach seiner Rueckkehr nach Deutschland zu verschmelzen. Entwickeln die Tuschmalereien aus eng verzahnten kalligraphischen Zeichen ein dichtes Geflecht strukturierter Bezuege, verfeinert sich die raeumliche Wirkung durch die Farbe in zarten Uebergaengen und Verschattungen mit der Tendenz zu stimmungshafter Bildwirkung. Aus der pulsierenden Vielschichtigkeit des Farbgewebes entwickeln sich gegenlaeufige Seherfahrungen, wie Abstossung und Verschmelzung, Ruhe und Dynamik, Ausdehnung und Konzentration.