Dr. Dietmar Schuth, Heidelberg | |||
<mit und ohne Titel> | |||
< mit und ohne Titel > heisst die Ausstellung im Kunstverein Leimen mit den beiden jungen Kuenstlern Georg Raab und Joachim Hirling, was zunaechst nur bedeutet, dass der eine seine Bilder mit Titeln versieht und der andere darauf verzichtet. Gemeinsam aber ist beiden eine besondere Beziehung zu Texten, ob unter, ueber oder in einem Bild, die Visualisierung des Verbalen, oder die Verbalisierung des Visuellen, so daß man bei beiden Kuenstlern von Textbildern bzw. Bildtexten sprechen kann, die freilich - aber nur auf den ersten Blick - sehr, sehr unterschiedlich sind. Georg Raab zeigt zum Beispiel eine Serie mit dem Titel "Bildbeschreibungen", das sind Reprographien, die der Kuenstler mit Temperafarbe und Pinsel flaechendeckend ueberschrieben hat. Dabei handelt es sich um die wohl bekanntesten Fotos des 20. Jahrhunderts, wie der Untergang der Titanic, der erste Mann auf dem Mond, der Mord an John F. Kennedy usw. Ikonen des modernen Zeitalters, die einst die Welt bewegten. Doch genau das, den Mythos, die Pathetik und den sentimentalen Kitsch, will Raab zerstoeren, indem er diese Bilder mit ihrer eigenen Bildbeschreibung ueberschreibt, ein betont sachlicher, desillusionierender Text, der jedes Bild verdoppelt und gleichzeitig halbiert. Desillusionierende Banalitaet ist sicherlich ein zentraler Begriff im vielseitigen Schaffen des Konzeptkuenstlers Georg Raab. So wie er die abgenutzten Klischees des 20. Jahrhunderts auf ihr Normalmass herunterholt, parodierte er auch den eigenen, ganz privaten Alltag. So beschaeftigt er sich mit der hoechst existentiellen Frage, die sich jedem Menschen an jedem Morgen seines Lebens stellt: "Was ziehe ich an?". Raab findet die Loesung darin, dass er all seine Klamotten in allen nur denkbaren Kombinationen durchspielt, diese hoechst alltaegliche Modenschau fotografieren laesst und humorvoll als eine Art Anziehhilfe bezeichnet. Eine andere Serie Raabs beschaeftigt sich mit banalen Zimmerpflanzen, jenen stummen Mitbewohnern, die so schoen sie auch bluehen moegen, und so sehr die mitgekauften Pflegehinweise für eine gute Behandlung apellieren, keine Einsamkeit vertreiben koennen. Einsamkeit auch eines der Themen einer weiteren, sehr intelligenten Serie, die sich als eine Stickerei auf banalen Kuechenhandtuechern praesentiert. Dahinter jedoch verbirgt sich eine Art mathematisch-geometrischer Text: die zum Zeichen erhobenen Bewegungslinien, die sich beim Druecken eines Tastentelefons ergeben. Alle Telefonnummern aber sind veraltet, die Antwort lautet immer nur: "Kein Anschluss unter dieser Nummer." Die Nichtigkeit des Lebens, die Vergaenglichkeit und auch Beliebigkeit jeder Existenz sind Themen, die man auch bei Joachim Hirling finden kann. Doch Hirling entwickelt seine existentielle Skepsis auf eine ganz andere Weise. Er ist gelernter Schriftsetzer, der auch nach seinem Studium der Malerei eine besondere Beziehung zu Zeichen und Schriften bewahrt hat. Sein Pinselstrich ist linear und "schreibt" seine Bilder, indem er Linien zu komplexen Strukturen verdichtet, die jedem Bild eine flirrende Farbigkeit verleihen und so sehr meditative Wahrnehmungsebenen eröffnen. Seit einiger Zeit laesst Hirling seinen Pinsel nicht nur Linien, sondern ganze Worte schreiben, die zwar ebenfalls sehr malerisch und stark verdichtet sind, so doch zu lesbaren Textbildern werden. Dabei verbalisiert Hirling, das was er bisher ganz abstrakt nur visualisiert hat: die Wahrnehmung an sich. So lautet eine seiner "Inschriften" "on exit frame go to the frame end", eigentlich ein Befehl einer Computerprogrammiersprache, der bedeutet, das jedes Bild an seinem Ende, dem Rahmen, wieder neu beginnt, wie jede Wahrnehmung ein staendiger Fluss der Sinnesreize und Assoziationen ist, ein ewiger Zyklus. Dieses zyklischen Denken und Empfinden erklaert sich bei Hirling durch seine intensive Beschaeftigung mit der asiatischen Kultur. Ein laengeres Stipendium wie auch zwei weitere Reisen fuehrten ihn nach Taiwan, wo er chinesische Kunst und Philosophie studiert hat, wie auch die alte rituelle Kunst der Kalligraphie. Seit diesen Reisen "schreiben" sich seine Bilder nun auch mit chinesischen Schriftzeichen, die er in seinen Stil verdichteter Linearstrukturen integrieren konnte. Europaeische Betrachter verstehen diese Texte freilich nicht, doch niemand kann sie eigentlich verstehen, auch wenn er sie lesen könnte. Denn es sind meist philosophische Parodaxa, Nihilismen, die das Phaenomen der Zeit in Frage stellen oder - wie schon Georg Raab - eine existentielle Einsamkeit und Nichtigkeit allen Seins formulieren, wie zum Beispiel mit dem Satz eines vor ueber tausend Jahren gestorbenen chinesischen Moenches: "Was ist, ist gleichzeitig, was nicht ist; und was nicht ist, ist gleichzeitig, was ist." < Heidelberg im September 2000 > |
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